Der Wandel vollzieht sich langsam und schmerzhaft

Der Startschuss zum Wandel war für mich mein 60. Geburtstag. Mir wurde bewusst, dass ich mit 60 in eine neue Lebensphase komme. Der letzte 20-Jahre-Schritt kündigte sich nun an.

Erster 20er-Schritt 1961-1980: Leben ohne Psychose
Zweiter 20er-Schritt 1981-1999: Leiden mit einer Psychose
Dritter 20er-Schritt 1999-2021: Arbeiten mit einer Psychose
Vierter 20er-Schritt 2021-2041: Leben mit Gott

Ab 2021 geschahen dann folgende Veränderungen:

Ich stellte mit die Fragen: Sollte es die letzten 20 Jahre so weitergehen wie bisher? Wollte ich weiter so meiner Arbeit nachgehen, bis ich alters wegen aufgeben muss? Sicher, meine Arbeit war innerhalb des Rahmens der Psychiatrie vielseitig und sehr sinnvoll. Ich bekam viel Anerkennung, war durchaus erfolgreich und konnte einiges gestalten und bewegen. Vor allem der Vorsitz des Landesverbandes Psychiatrieerfahrener Baden-Württemberg schmeichelte mir zuletzt und gab mir Sicherheit und Bedeutung.

Aber schon längere Zeit stellt ich fest, dass mein Interesse, mich in neue psychiatriepolitische Themen einzuarbeiten immer geringer wurde. Zuletzt empfand ich das als große Last und ich musste mich oft zur Arbeit zwingen. Ich quälte mich fast 2 Jahre mit der Entscheidung - am 20.7.2023 war es dann so weit. Ich gab mein Amt an einen Nachfolger ab, indem ich mich nicht mehr zu Wahl stellte.

Aber es war nicht nur der Landesverband. Generell freute ich mich nicht mehr so sehr über Anerkennung für meine Arbeitsleistung und sie war nicht mehr mit so viel Herzblut verbunden, wie früher. Und es gelang mir auch immer weniger mich darüber zu definieren.

Schon im September 2022 hatte ich im Kloster Lichtental ein Bekehrungserlebnis, als ich mich für die Bibel und die Nachfolge Jesus Christus entschied. Erst jetzt hatte ich zum ersten Mal das Gefühl ein Christ zu sein. 

Zuerst war ich erfüllt von einem religiösen Feuer, das in mir brannte. Ich beschäftigte mich neben meiner Arbeit bei der Caritas, nur noch mit christlichen Themen. Ich dachte, es würde immer so weiter gehen. 

Mein nächstes Ziel war es, eine Gemeinde zu finden, wo ich meinen Glauben mit anderen Christen teilen konnte. Ich gründete eine Online- und eine WhatsApp-Christengruppe. Alles schien bestens zu gehen, als ich dann aber bemerkte, wie schwer es mir fiel in der Teninger und in der Gundelfinger Kirchengemeinde Fuß zu fassen. Dazu kam, dass das Glaubensfeuer in mir nach und nach schwächer wurde. Ich hatte nicht mehr diese Euphorie, mit der mir der Kontakt mit anderen Christen leichter viel. Ich verfiel in eine mittelschwere Depression. Ich wurde antriebslos, freudlos, menschenscheu und träge - bis heute. Immer mehr zog ich mich in meine Wohnung zurück, anstatt die nun frei gewordene Zeit für Unternehmungen zu nutzen. 

Jetzt zeigte sich, was ich eigentlich schon seit vielen Jahren wusste. Außerhalb meiner einseitigen Psychiatrieblase, bin ich ein ängstlicher und einsilbiger Mensch, der von vielen Themen keine Ahnung und am gesellschaftlichen Leben noch nie wirklich teilgenommen hat. Ich hatte mich 40 Jahre lang in meiner Sonderwelt gut eingerichtet. Aber das alles funktionierte jetzt größtenteils nicht mehr, weil ich es nicht mehr wollte und auch nicht mehr konnte.

Seit 16. März 2024 hat sich nun eine weitere wesentliche Veränderung in meinem Leben ergeben. Ich habe dem Wunsch meiner Ehefrau Karin nachgegeben und wohne jetzt mit ihr in der Seniorenanlage "An der Elz" in der Rheinstraße 2a in Teningen in zwei voneinander unabhängigen Einzimmerwohnungen und nicht mehr mit ihr zusammen in ihrer Dreizimmerwohnung. Das hat Vorteile und Nachteile und es fällt mir schwer zu bewerten, was überwiegt. Aber klar ist, dass ich jetzt noch mehr mit mir alleine zurecht kommen muss. 

Seit 1999 habe ich mich psychisch aufrecht gehalten, weil ich eine Berufung in meiner Arbeit sah und hab mich permanent von mir selbst abgelenkt. Seit 2010 habe ich mit Karin zusammen gelebt, was auch dazu führte, dass ich weniger alleine war. Und dann jetzt seit 5 Monaten lebe ich auf einmal in einer Einzimmer-Wohnung und kann nicht mehr so einfach in den Kontakt mir Karin fliehen. 

Das alles ist aber nicht einfach so passiert, sondern sind bewusste Entscheidungen von mir gewesen. Ich habe bewusst meine Mitarbeit beim Landesverband beendet, ich bin bewusst in die Rheinstraße gezogen, ich habe bewusst ab 60 unter mein altes Leben einen Schlussstrich gezogen. Und ich bin bewusst Christ geworden.

Nach unserem Umzug 2011 von Stuttgart nach Teningen sagte Iris Kienle, meine Sozialarbeiterin beim Sozialpsychiatrischen Dienst Emmendingen einmal zu mir "Der Rainer Höflacher ohne Psychiatrie existiert nicht!" - knapp, in einem Satz, auf den Punkt gebracht.

Ich möchte die mir noch verbleibende Lebenszeit nutzen und das ändern!

Ob mir das gelingt, oder ob ich permanent mit Depressionen weiterleben muss, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist mein christlicher Glaube meine Lebensgrundlage geworden. Egal, ob es mir gelingt, in einer Gemeinde Gemeinschaft zu finden oder ob eher vereinsamt meinen Glauben praktiziere. Ich werde mit bzw. durch Jesus, Gott und dem heiligen Geist mein weiteres Leben verbringen. 

Meine vierte und zugleich letzte große Lebensphase hat 2021 begonnen. Sie vollzieht sich langsam und mit Schmerzen. Aber wenn ich diese Zeilen nochmals lese, wird mir bewusst, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als diesen Weg zu gehen. Ich bin sicher, dass mich Gott dabei unterstützt.

Mein Bruder gab mir vor ein paar Jahren den Rat, nicht mehr so viel für andere zu tun, sondern mein Leben zu genießen - denn es sei endlich. Aber Genießen war für mich noch nie ein leichtes Spiel gewesen. 

Rainer Höflacher am 5.8.2024







Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Es kommt, wie es kommen muss...

Pfingstmontagmorgen

Ist Wandlung möglich?